Wahre Freunde by Hecht Martin

Autor:Hecht, Martin [Hecht, Martin]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Herder
veröffentlicht: 2015-01-02T05:00:00+00:00

Die neue Mündigkeit

Bei allen Gefährdungen – Freundschaft hat heute eine neue große Chance, weil die Fähigkeit unter denen, die sie führen wollen, erheblich zugenommen hat, sich untereinander besser über die Art ihrer Beziehung selbst zu verständigen. Gab es früher das Sprechen über die Freundschaft fast nur in elitären Zirkeln unter meist allzu theorielastigen Diskussionsteilnehmern wie Sokrates, Schopenhauer oder Schiller, so hat sich heute die Sprachkunst der Freundschaft erheblich demokratisiert. Wir sind dabei, die Sprache der Freundschaft zu lernen, und beginnen, das Vokabular zu beherrschen, mit dem man über Beziehungen spricht – viel besser als noch vor Jahren. Wir finden Worte für unsere Motive, Erwartungen, Enttäuschungen, Wünsche, Kränkungen oder für unsere Euphorie.

Nicht, dass alles Reden über die Freundschaft und andere Beziehungen Gold wäre. Vor allem ist der Glaube irrig, man könne alle Probleme lösen, wenn man nur darüber redet. Manche tun es von morgens bis abends ohne sonderlichen Erkenntnisgewinn und nachweisbare Folgen für die eigene Lebensführung. Und so ist auch mit der neuen Sprachmächtigkeit unter Freunden sicher nicht jene Schwatzhaftigkeit bestimmter Frauenmagazine gemeint, jenes Psychogelaber, mit dem heute die Abkömmlinge des sogenannten Selbstverwirklichungsmilieus ihre Langeweile überbrücken – auch nicht jener Jargon der inneren Eigentlichkeit, der nur lose verbrämt, dass eigentlich wie eh und je nur getratscht und heiße Luft verplaudert wird.

Aber dennoch ist es angemessen, die Segnungen der psychologischen Betrachtungsweise für die Freundschaft zu würdigen, denn sie kommen dieser in der heutigen Zeit tatsächlich zugute. Die Chancen, sich wirklich gut zu verstehen, sind heute so groß wie nie zuvor. Denn die Fähigkeit, sich zu artikulieren und dadurch mitzuteilen, ist vielleicht die wichtigste Bedingung der Freundschaft überhaupt. Anders ausgedrückt: Sich überhaupt zu verstehen ist die Bedingung, sich auch gut zu verstehen.

Früher war es noch so: Männer hatten Freunde, redeten aber nicht darüber. Frauen hatten Freundinnen, und es gehörte bei ihnen immer schon dazu, auch einmal die Freundschaft selbst zu thematisieren. Und früher bedeutete das auch: Wenn Freundschaften zerbrachen, litten Männer wie Frauen darunter, mit einem Unterschied: Männer redeten nicht darüber, Frauen schon. Heute hat sich daran manches geändert. Nicht nur die Frauen, die den Männern darin immer schon voraus waren, sondern endlich scheinen auch die Männer langsam, aber sicher den nötigen Wortschatz zu beherrschen, den eine echte Freundschaft braucht, um sich von einer Kumpelbeziehung zu unterscheiden. Vor allem diejenigen Männer, die ihre Probleme bislang gerne, wenn überhaupt, dann mit sich allein oder allenfalls mit einem großen Pils ausmachten, die großen Schweiger und Problem-Ignorierer also, die einsamen Wölfe, stummen Indianer oder maulfaulen Desperados mit der unbeweglichen Clint-Eastwood-Mimik, alle sie sind mittlerweile bedauernswerte Auslaufmodelle.

Viele von ihnen haben begriffen, dass es auch in Männerfreundschaften unerlässlich ist, die Sprache dieser Beziehungsform wenigstens im Grundkurs zu erlernen, anstatt immerzu nur so zu tun, als berühre sie das Glück wie der Bruch mit den Freunden nicht im Geringsten. Manche werden deswegen belächelt oder als Weicheier, Frauenversteher oder als »smooth operators« diskreditiert. Nicht, dass es in einer gelungenen Freundschaft plötzlich darum ginge, von morgens bis abends tiefschürfende Beziehungsgespräche zu führen. Doch die neue Redegewandtheit ist trotzdem unverzichtbar. Nur mittels

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